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29.08.2013

33. Ötztaler Radmarathon (1)

Die Tage vor dem Ötzi
Aus Spaß wurde Ernst - im Februar aus Scheiß mal für den Ötztaler Radmarathon registriert und gleich bei der ersten Auslosung einen Start- ooder besser Leidensplatz ‚gewonnen’. Bei 3 - 4 Bewerbern auf einen der heiß begehrten Startplätze gehört eben viel Glück dazu, wenn man mal für 100 Euro langwierig leiden möchte.  Kurze Rücksprache mit Frau Blechi und der Start beim Ötzi wurde mit ’ner Woche Familienurlaub in der Region bei vorgenannter Weiblichkeit erkauft.

Beinahe wäre der Ötzi noch ins Wasser gefallen, da ich mich beim letzten Training in der Heimat auf dem Auer Radweg unfreiwillig mit einem Begrenzungsgitter angelegt hatte. Zum Glück kam ich mit einer Handgelenksprellung und einem blauen Arm davon.

Die radfahrfreien und zur Erholung gedachten Tage in Südtirol vergingen wie im Fluge und der Sonntag des Ötzis nahte. Was auch nahte, war das Unheil, was über dem Ötzi lag. Die ganze Woche angenehmes Wetter, nur für Sonntag waren Dauerregen und bitterkalte Temperaturen vorausgesagt. Bei vier Alpenpass-Überquerungen eine ernstzunehmende Sache. Für kühle Temperaturen waren wir ausgerüstet, für eine Wiederholung der Wildwasserfahrten wie bei den Tirol-Masters im Mai mit Hang zur Nullgradgrenze jedoch nicht. Angesichts der Tatsache und der immer sicher werdenden Unwetterprognose wurde ich bis Freitag immer unruhiger. Irgendwas musste kleidungstechnisch noch passieren, so würde es jedenfalls schiefgehn.

Die rettende Idee kam dann Freitagabend. Am Samstag wurde in Insbruck die im Mai begonnene Anschaffung einer Taucherausrüstung vervollständigt. Also eigentlich fehlen nur noch Schnorchel und Flossen und ich kann nebenher dem Tauchen fröhnen. Vielleicht hätte ich in dem Tauch-Shop noch etwas Sauerstoff mitnehmen sollen, wäre am Sonntag jedenfalls an manchen Stellen bitter nötig gewesen…

Zumindest war ich nun beruhigter, dem Wetter am morgigen Tag zu trotzen. An den 238 langen Kilometern und den 5500 Höhenmetern bei der Überquerung der vier Bergpässe konnte man aber leider nicht rütteln. Da ich über keinerlei Alpenerfahrung verfügte und so eine lange Strecke noch nie gefahren bin, hieß das Ziel eigentlich nur irgendwie durchkommen um mir den angepriesenen ’Traum’ zu erfüllen.

Der Tag des Ötzis
Aus Sicherheit am Samstagabend zwei Handies und noch die Notebook-Uhr gestellt, damit man auch ja die Quälerei nicht verschläft. Gewonnen hat schließlich der Laptop, der Blechi pünktlich 04:00 Uhr mit Andreas Gabalier und „Go For Gold“ aus den Federn holte. Leckeres Frühstück mit  Nudeln und hinterher noch Brötchen, bis nichts mehr hineinging. Das Gewicht war eh schon egal, da sich die kulinarischen Spezialitäten aus Österreich und Italien der letzten Woche auf der Waage mit breit gemacht hatten – nicht gerade beste Voraussetzungen für die Berge aber nun ja, man hatte sich eben Speck gegen die Kälte angefressen. Wenn schon langsam bergauf, dann wenigstens etwas weniger frieren.

Um 06:45 Uhr war’s in Sölden dann angerichtet. 6 Grad, nass von oben, nass von unten und Blechi stand irgendwo inmitten seiner über 3200 Radfahrkollegen, die ihn auf der heutigen Ausfahrt begleiten wollten, dick vermummelt und mit 'Überlebensrucksack' am Start. Ist doch auch mal was, du fährst den halben Tag Rad und hast ständig wechselnde Begleitung!

Mehr als 1000 angemeldete Fahrer traten meist wegen der widrigen Bedingungen zum Event gar nicht erst an. Der Modetrend des Tages war heute sicherlich der „Müllttonnenlook“,  noch bis Kühtai wurden die mobilen Müllsäcke gesehen wurde. Ganze neun Minuten nach dem Donnern der traditionellen Startkanone überfuhr ich auch die Startlinie. Ca. 30 Kilometer talabwärts von Sölden nach Ötz zum sogenannten ’Warmfahren’, sehr ironisch bei den Verhältnissen. Warm wurde es nicht, die Kälte und Nässe blieb aufgrund des Neoprens vorerst  erträglich.

In Ötz haben die ersten Fahrer die Segel gestrichen und stiegen aus. Die ersten 18,5 km mit 1200 Höhenmetern bis zum Kühtai lagen vor mir. Da ich kein ausgesprochener Bergfetischist bin, muss ich mir meist auch jeden Höhenmeter abringen.

Das einzig Gute am ersten Anstieg war, dass es trotz Regens erträglich warm wurde - die Neopren-Heizung brachte aber auch ganz schöne Feuchtigkeit mit sich. Ich versuchte im gemäßigten Tempo den Kühtai zu erklimmen. Klappte anfangs, jedoch ließen die 18 %-Stücke den Puls immer wieder nach oben schnellen. Nur nicht zu schnell und überdrehen, es stand ja noch einiges bevor. Gegen 09:05 Uhr überfuhr ich die Zeitnahme am Gipfel. Tanken, pullern und was essen. Beim Versrspeisen des vorher heiß angepriesenen Kuchen der Ötztaler Großmütter wäre ich beinah erstickt, so trocken war der.

Obwohl ich sehr gern Kuchen esse, blieben es aus Gesundheitgründen die letzten beiden Stücke auf der Tour. Nachdem ich wieder Luft bekam, ging’s in die erste Abfahrt. Mir graute vor dieser und ich wurde nicht enttäuscht.

Auf den 20 Kilometern talwärts starb trotz Neopren fast alles an mir ab. Es war einfach die Hölle dort runter. Tirol und Nürnberg im Mai waren nicht minder schlimm – ich befand mich mitten im Déjà-vu. Ich hoffte mit jedem Meter, dass es im Tal etwas wärmer werden wurde, um wieder etwas aufzutauen. Bis zum Überqueren des Kühtai gab es den größten Aderlass im Fahrerfeld. Bis hierher gaben allein 650 Fahrer auf. Sturzfrei aber völlig unterkühlt erreichte ich das Tal,

Ausschau haltend nach Windschatten spendenden Hinterrädern, die einem Schutz auf dem Weg durchs Tal geben. Mit jedem Meter, den wir näher an Insbruck heranfuhren, ließ der Regen nach. Allmählich taute ich auch wieder auf und erreichte normale Betriebstemperatur. Kaum in Insbruck angekommen, ging’s auch schon wieder nach oben Richtung Brenner. Mit 40 km zwar der längste Anstieg, dafür auch der flachste.

Von unten nach oben wuchs unsere Gruppe auf über hundert Fahrer an. Im Nachhinein gesehen, waren es für mich der angenehmste Streckenabschnitt. Beine fühlten sich trotz doch schon 125 Kilometern noch gut an, alles noch im grünen Bereich…! Kurz vor der italienischen Grenze kam sie dann heraus: die Sonne…! – Auf Bella Italia ist eben immer Verlass…! Mit Klara hatte nun wirklich keiner mehr gerechnet. Gegen 11:30 Uhr an der Brenner-Verpflegung spezialisierte ich mich auf Neapolitaner Schnitten. Die schmecken so schon gut, heute noch dreimal besser und man konnte man das Zeug schaufelweise verdrücken – geile Sache! Ich weiß nicht wie viel Quadratmeter Schnitte ich  verspachtelt hatte, zumindest war mein Magen mit der Großkundenmenge sehr zufrieden. Viereinhalb Stunden waren ich nun schon unterwegs – die Hälfte der Strecke war geschafft, aber die zwei großen Kracher kamen ja noch!

Hinab ging’s wieder ins talabwärts nach Gasteig, wo auch der dritte Anstieg nicht lang auf sich warten ließ, der Jaufenpass. Für mich waren die 15,5 km hinauf die am schwersten erkämpften.

Der Jaufenpass fängt genauso steil an, wie er aufhört und bietet dazwischen nicht eine winzige Erholungsmöglichkeit. Kilometer für Kilometer ging es mir schlechter und ich verfluchte die ganze Sch… hier. Mein „Überlebensrucksack“ machte auch was er wollte und behinderte mich zusehend in seinem Drang immer schief auf meinem Rücken sitzen zu wollen. So gut er mich auf den ersten hundert Kilometern warm am Rücken hielt, so lästig war er jetzt.

Gegen den Berg und den Sack kämpfend schleppte ich mich irgendwie zur Labe nach oben. Dort verbrachte ich die längste Zeit aller Laben-Besuche, da ich vorerst damit beschäftigt war, eine mittelgroße Melone zu verdrücken. Es war genau das, was ich brauchte, Melone, Melone und noch ‚nen Stück und noch eins…so ging’s ‚ne halbe Ewigkeit, das Verlangen wollte gar nicht aufhören. Mit Cola füllte ich die letzten leeren Ecken meines Magens noch aus und war froh, dass ich nicht geplatzt bin. Mit meinem prall gefüllten Wasser-Bauch überfuhr ich 13:48 Uhr die Zeitnahme am Jaufenpass. So anstrengend, wie’s den Jaufen hinauf  ging, so anstrengend war’s auch runter.

Zwar konnten sich die Beine etwas erholen, dafür verrichteten die Finger auf der sehr kurvenreichen Abfahrt beim Bremsen Schwerstarbeit. Das Wetter hielt immer noch super durch und im Tale von  St. Leonhard war plötzlich richtig Sommer, Sonne Kaktus…Zwei Kilometer hielt ich es aus, dann rüstete ich mein Kleid auch von Winter auf Sommer um. Dabei hab ich wohl auch meine Radbrille eingebüßt, wie ich später feststellte. Also wenn ihr am Timmelsjoch mal 'ne Kuh mit Sonnenbrille seht, dann könnte es eventuell meine gewesen sein. ;-)

Wenn nicht die ersten aufkommenden Krämpfe gewesen wären, hätten die ersten Kilometer hoch zum letzten Anstieg sogar Spass gemacht. Mittlerweile standen mehr als 180 km auf der Uhr und vor mir lagen über 28 km und 1700 hm Timmelsjoch. Mit jedem Kilometer ging das Ganze nun schwerer. Es traten nun mehr und mehr Verschleißerscheinungen zu Tage. Irgendwann ist man eben mal „satt“. Wirklich cool am Ötzi ist, dass hunderte sich die Anstiege in scheinbarer Zeitlupe hochquälen, aber es trotzdem totenstill ist, weil eigentlich niemand spricht.

Ein neben mir fahrender jüngerer Motivationskünstler jedenfalls durchbrach die Stille. Er schaute nach ganz oben und sagte: „Da nauf müsse mir noch!“ Erstaunt, dass ich trotz auf dem Boden schleifender Zunge überhaupt noch was hervorbrachte, entgegnete ich ihm nur „Hör bloß auf mit der Sch…!“ Bis zur letzten Verpflegungsstation verging eine Ewigkeit.

Die Labe wollte und wollte nicht kommen. Mittlerweile war es für’s ’Kraxeln’ auch schon etwas zu warm geworden. Als Nebenbeschäftigung bekämpfte ich nun des Öfteren mit meinen Fäusten meine immer wiederkehrenden Krämpfe. Irgendwann erreichte ich dann auch das nächste Schlaraffenland, die letzte Labe.

Im Melonenessen und Orangenauszutschen war ich mittlerweile geübt und so ging’s nach kurzer Pause weiter. Immer noch 10 Kilometer bis zum Gipfel. Meter für Meter strampelte ich zusehends schwächer werdend nach oben. Die steilen Abschnitte mit 12-14%-Steigung gen Gipfel raubten die letzte Kraft. Fünf Kilometer vorm Gipfel legte ich am Straßenrand meine erste und letzte schöpferische Pause ein. Ich presste noch mal Cola in mich rein und atmete erstmal zwei, drei Minuten tief durch. Irgendwann kam dann der ersehnte Gipfel in Sicht.

Mittlerweile war ich schon 10 Stunden unterwegs. Abgesehen vom kleinen Gegenanstieg von 1,5 km Länge hinter dem Timmelsjoch Richtung Mautstelle ging es jetzt nur noch bergab. Um 17:41 Uhr erreichte Blechi dann endlich pannenfrei, sturzfrei, gesund aber völlig ausgelaugt das Ziel in Sölden.

„Nie wieder…!“ waren meine ersten Worte, die ich Frau Blechi sagte, die wie ich beim Umarmen wieder mal Pippi in den Augen hatte. Mit dem Finishen wurde das gesteckte Ziel erreicht.  Mit 10 Stunden und 47 Minuten reichte das für den 1078. Platz von 3209 in Sölden gestartetetn Fahrern gestarteten Fahren, AK-Wertung 650. von 1788.



Die Tage nach dem Ötzi
Es schmerzt noch hier und da
und in den ersten drei Tagen mocht ich meinen Arsch noch nicht wieder auf einen Sattel bewegen. Regenerieren heißt das Zauberwort und ist auch bitter nötig.
„A mol im Lebn muast an Ötzi ghabt hom…!" Irgendwie fantastisch mit dem ganzen Drumherum war die Sache schon. Jeder Schmerz ist irgendwann vergessen und zwei Tage nach „Nie wieder…!“ wird auch schon aus nie wieder ein vielleicht doch wieder im nächsten Jahr. Der Ötzi ist jedenfalls empfehlenswert, wenn man neben Ländergrenzen mal seine körperlichen Grenzen überschreiten möchte. Lassen wir uns überraschen ob wir uns das doch nicht wieder antun werden…andere radfahrkollegen sind nächstes Jahr herzlich eingeladen, eine Erfahrung und Erlebnis ist’s auf jeden Fall…


Starterstatistik
4878 Starter laut Meldeliste
3351 holten Startunlagen wirklich
3209 standen in Sölden am Start
2375 erreichten das Ziel
Von den 834, die das Ziel nicht erreichten, gaben allein 652 bis zum ersten Pass in Kühtai auf.

Impressionen vom Event gibt's noch unter Mrs. Blechi Pixx

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